Freitag, 1. Februar 2013

Männergesundheitskongress - kranke Helden?


Aha, nun also ein Männergesundheitskongress. Der erste und in Berlin. Wer braucht das – mag frau fragen? Ist nicht die gesamte medizinische Lehre sowieso nach männlichen Denkweisen und Forschungszielen ausgerichtet? Gibt es nicht deutlich mehr Chefärzte als Chefärztinnen – ungeachtet des weiblichen "Nachwuchses"? Wurden und werden die meisten Medikamente nicht  nahezu ausschließlich an männlichen Organismen und Probanden entwickelt und getestet?  Nicht zu reden von Fehlmedikationen, z.B.  bei Depressionen und Fehldiagnosen, z.B. (immer noch) bei Herzinfarkt.

Dennoch scheinen Frauen die besseren Chancen zu haben, ihre Männer zu überleben. Rund fünf Jahre mehr erwartet heute ein neugeborenes Mädchen.
Eine Antwort auf die Frage nach dem Warum dieses Phänomens, versuchten Referenten und Referentinnen des Männergesundheitskongresses zu geben. Die biologische Geschlechterdifferenz spielt hier eine recht untergeordnete Rolle, so die Erkenntnis aus "Klosterstudien". Bei Nonnen und Mönchen, die ihren Alltag unter nahezu gleichen Bedingungen verbringen, verringert sich der Unterschied in der Lebenserwartung um vier Jahre. Nonnen dürfen im Schnitt mit einem Lebensjahr mehr rechnen.

Also, Biologie ist nicht alles. Einen weitaus größeren Einfluss hat dagegen das über Jahrhunderte verinnerlichte männliche Selbstbild – lieber ein toter Held, als gar keiner. Genderbedingtes Verhalten führt in der Regel dazu, dass das Alter bei jungen Männern zwischen etwa 18 und 30 zum gefährlichsten macht und die statistische Lebenserwartung deutlich senkt. Während Frauen ihre suizidalen Gedanken eher laut aussprechen und auch häufiger Versuche unternehmen, ihrem Leben ein Ende zu setzen, ist jedoch einer signifikant höheren Anzahl an Männern der traurige "Erfolg" diesbezüglich sicher. Hat ein Mann dagegen seine gefährliche Jugend überlebt, droht ihm durch eine gesundheitsschädigende Lebensweise neue Gefahr, wobei das Leben als Alleinstehender ohne feste Bindung bei weitem die größte ist. Eine halbwegs funktionierende Partnerschaft kann lebensverlängernd wirken. Herkömmlichen, meist für eine weibliche Zielgruppe formulierten Gesundheitsappellen abhold, wird einer gesundheitsbewussten Lebensführung zudem wenig Attraktivität beigemessen.

Sind aber Männer nun wirklich benachteiligt – nicht zuletzt durch die vielzitierte "Feminisierung in der Medizin"? Aber lässt sich überhaupt von einer "Feminisierung" sprechen, wenn in erfreulich ausgewogenem Verhältnis noch 50 Prozent der Doktoranden weiblich sind, der Anteil an Chefärztinnen schon auf rund 10 Prozent schrumpft und die W3/C4-Professuren nur zu 5,6 Prozent an Frauen vergeben werden? 

Der zunehmende Frauenanteil verändert aber natürlich Schwerpunkte: inhaltlich, im täglichen Diskurs und in Wertevorstellungen. Ein Paradigmenwechsel kann durchaus als Bedrohung empfunden werden. Das (immer noch) tradierte Bild vom Helden, der stets auf der Jagd, allzeit bereit etwaige Konkurrenten abhängt, um für die Seinen zu sorgen,  scheint als Lebensentwurf immer weniger zu taugen. Während von Frauen Anpassung wie selbstverständlich gefordert wird, sofern sie in neue Gesellschaftsräume und Berufssparten vordringen wollen, wird diese Leistung umgekehrt bei Männern eher problematisiert. Vielleicht mangelt es noch an neuen Rollenvorbildern, die auch aus Heldenperspektive erstrebenswert wären?

Krank macht also weniger eine dezidierte Benachteiligung, sondern eher das klassisch männliche Welt- und Selbstbild. Eine im Akutfall segensreiche Hightech-Medizin trägt zur Gesunderhaltung von Männern weniger bei als die sog. "weichen" Lebensfaktoren einer ausgeglichenen Lebensweise mit gelebtem Familienanschluss. Also Teilzeit für alle? Frauen die ihre Zeit zwischen Beruf und Familie splitten, sind – erstaunlicherweise – gesünder als Vollzeit Berufstätige. Immer mehr junge Väter beanspruchen eine Teilzeitregelung auch für sich. Hier aber lauert die nächste Belastung: die Angst, den Anschluss an eine Karriere zu verpassen, verbunden mit den finanziellen Konsequenzen – auch von mancher Partnerin und Kindsmutter nicht ohne Weiteres akzeptiert. Anders im umgekehrten Fall!
Wiederum sind es männlich geprägte Strukturen, die den ungesunden Takt vorgeben. Dauerpräsenz, Verfügbarkeit und ein Größer-Weiter-Mehr von Einfluss und Gehalt ist Jagd, ist Stress und auch für viele Männer schlicht nicht gut.