Dienstag, 22. August 2017

Editorial Kongress-Brief Gender-Gesundheit (Juli 2017)

Es wäre doch mal eine psychologische Studie wert – oder vielleicht gibt es sie sogar schon –, um zu untersuchen, warum junge Frauen sich freiwillig in die Situation begeben, wie auf dem Viehmarkt begutachtet und bewertet zu werden. Die neue Show "Curvy Supermodel" macht sich nicht wirklich für ein neues Bewusstsein stark, das auch Normalgewichtige oder einen etwas üppigeren Körperbau eine positive Anerkennung zugesteht; vielmehr ist es der neue Pranger an dem zu stehen, sich junge Frauen bewerben, um dann Gefahr zu laufen, vor einem Massenpublikum gedemütigt zu werden. Das war und ist so bei "Germanys next Topmodel", wo junge Mädchen und Frauen mit barschem Feedback nicht etwa gefordert oder gar gefördert werden, sondern schlimmstenfalls traumatisiert. Die Erniederung jener Frauen, die sich  wahrscheinlich aufgrund ihrer Körperformen im Laufe ihres jungen Lebens ohnehin mit dem negativ konnotierten Image fülliger Formen herumschlagen müssen, finden in dieser Sendung mitnichten die ersehnte positive Bestätigung. Es geht wie in anderen Contest-Shows (die auch junge Männer betreffen) nicht um einen echten Wettbewerb, sondern um die "Jury" selbst, um Vermarktung der Show und damit um (Werbe)–Gelder. Die "Kandidatinnen" sind nur Kanonenfutter, ohne es zu merken oder es vielleicht wahr haben zu wollen.

Wie es um das Menschenbild eines Landes bestellt ist, lässt sich u.a. an den Breitenmedien ablesen, z.B. an Werbung, Fernsehserien und Shows. Verlieren Frauen ihren gesellschaftlich definierten "dekorativen Wert" kann es im deutschen Fernsehen schnell vorbei sein mit einer qualifizierten Karriere, wie eine Studie der Universität Rostock unter der Schirmherrschaft von Maria Furtwängler zeigt. 80 Prozent der non-fiktionalen Unterhaltungssendungen werden von Männern präsentiert und Frauen jenseits der 50 tauchen als Protagonistinnen im Verhältnis von einer Frau zu drei Männern auf. Es bleibt zu hoffen, dass das italienische Fernsehen in Deutschland nicht zum Vorbild wird, das Moderatorinnen ab 35 entweder nicht mehr zulässt oder zu entstellenden "Schönheitsoperationen" zwingt. Überschreiten Frauen die 50 scheinen sie zum unbekannten und unsichtbaren Wesen zu werden. In Portugal sah sich eine Frau (50) gezwungen, ihr Recht auf ein erfülltes Sexualleben mit Hilfe des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte zu erstreiten. Nach einem missglückten operativen Eingriff wurde eine bereits zugebilligte Entschädigung von einem portugisischen Gericht mit dem Hinweis auf ihr Alter und bereits vorhandene Kinder wieder kassiert.

Gerade in Zeiten, wo eine starke Migration aus Kulturen stattfindet, die aus westlicher Perspektive ein (milde gesagt) "mittelalterliches Frauenbild" vertreten, wo z.T. Burka oder Vollverschleierung Frauen jeglichen Alters im öffentlichen Raum unsichtbar machen, sollten wir ein Auge darauf haben, welches Frauen- und damit Menschenbild in unserem Alltag tatsächlich gelebt wird. Die Erfahrung von Gewalt und Unterdrückung auf der Flucht oder im Flüchtlingsheim, durch Fremde oder den eigenen Mann hat in der gesamten Flüchtlingspolitik bislang eine eher untergeordnete Rolle gespielt. Es ist daher begrüßenswert, dass jetzt Mediatorinnen ausgebildet werden und jenen Frauen an die Seite gestellt werden, die in der Hackordnung ganz unten stehen und von ihrer Würde als Mensch (noch) gar nichts wissen.

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