Mittwoch, 15. November 2017

Editorial Kongress-Brief Gender-Gesundheit (Oktober 2017)

Also, die Sondierungsgespräche zu Gesundheit und Pflege sind durch. Abgesehen von ein paar Allgemeinplätzen, denen nun wirklich keiner widersprechen kann und wird, ist noch nicht viel herausgekommen. Jamaika hin oder her, auf den Koalitionsvertrag nicht nur zu diesem Thema darf man gespannt sein. Und was wird wohl für eine geschlechtersensible Medizin herauskommen, die eigentlich als State-of-the-art in der Versorgung angekommen sein sollte? In der letzten Legislatur haben CDU/CSU und SPD 2013 immerhin die folgende Absicht im Koalitionsvertrag formuliert: „Wir wollen die jeweiligen Besonderheiten berück-sichtigen, die sich aus der Frauen- und Männergesundheitsforschung insbe-sondere für die gesundheitliche Versorgung und die Erarbeitung von medi-zinischen Behandlungsleitlinien ergeben.“ (Koalitionsvertrag S. 82)

In Baden-Württemberg einigen sich Bündnis 90/ Die Grünen und die CDU 2016 auf eine Präzisierung: "Gesundheitsverhalten, Erkrankungen, Reaktionen auf Medi-kamente und Symptomatiken sind geschlechtsspezifisch. Wir werden daher die geschlechtsspezifische Gesundheitsforschung ausbauen, das Differenzbewusst-sein an medizinischen Fakultäten fördern, eine geschlechtsspezifische Gesund-heitsberichterstattung einführen und unabhängige Beratung fördern." (Koalitionsvertrag S. 88)

Ich wiederhole, wir dürfen gespannt sein. Mit Blick auf die Entwicklung bedarf es für die Implementierung einer Medizin, die geschlechtsspezifische Aspekte be-rücksichtigt, noch einiger Ermutigung in Teilen der Selbstverwaltung. Leitlinien, Aus- und Weiterbildung sind durchaus noch nicht so standardisiert, wie man/frau es sich wünschen würde. Eine Weiterbildung mit der Zusatzbezeichnung Gender-Medizin, wie sie an der Österreichischen Ärztekammer erworben werden kann (Diplom Gender-Medicine), scheint hier noch in weiter Ferne. Inwieweit vermehrt prüfungsrelevante Fragen in die IMPP-Generierung integriert werden, bleibt abzuwarten. Ein prüfungsrelevantes Modul in den Curricula der medizinischen Studiengänge ist aktuell wohl nicht in Sicht. Hier können Studierende auf den Modellstudiengang der Charité zurückgreifen oder auf die Vorlesungen bzw. Seminare ihrer Fakultäten, die angeboten werden oder vielleicht auch nicht. In einem kürzlich geführten Gespräch mit einem Medizinstudierenden stellte sich heraus, dass ihm der Begriff Gender-Medizin fremd war. Das sollte eigentlich nicht passieren; denn der Bedarf an diesem Wissen ist im medizinischen Ver-sorgungsalltag durchaus vorhanden. 

Warum dauert das so lang? Erste Erkenntnisse zu Geschlechterunterschieden beim Herzinfarkt gibt es seit den 1980 er Jahren – 2016 schließlich finden sie Eingang in die Nationale Versorgungs-Leitlinie Chronische KHK. Zugegeben, andere Fachgesellschaften sind schneller. Welchen Hebel könnte es seitens der Politik also geben, um hier das Tempo zu beschleunigen? Ich traue es mich schon fast nicht mehr zu sagen... Eine Top-down Lösung wird kaum zu vermeiden sein; denn aktuell wird das Thema überwiegend von Ärztinnen voran gebracht, die aber nur selten in den Entscheidungsgremien der Selbstverwaltung zu finden sind – ebenso wenig wie ihre hierzu forschenden männlichen Kollegen. Eine gesetzlich verbindliche geschlechterparitätische Besetzung wäre z.B. so ein Hebel, der für eine rasche Veränderung der Verhältnisse sorgen könnte. (Handlungsempfehlungen: https://www.bundeskongress-gender-gesundheit.de)

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